29. November
Kati
Sie feierte gern, aber bitte gediegen und nicht mit Hunderten Leuten, die sie nicht kannte, wo sich angenehme und unangenehme Gerüche, Berührungen, Lachen und Schreien mit der Musik zusammen zu einem Teppich an Eindrücken verwebten, der sie überforderte. Mit einem leichten Schauern dachte sie an Marthas Geburtstagsfeier vor einem halben Jahr zurück, die sie in ihrem Haus und Garten ausgerichtet hatte. Die Party hatte sie an diese Collegefeiern erinnert, die man in Filmen oft sah. Obwohl sie alle zwischen dreißig und vierzig Jahre alt waren, hatte eine ähnlich ausgelassene, ja wenn nicht sogar überbordende Stimmung geherrscht. Zu viele Menschen, zu viel Alkohol, zu viel von allem. Unwillkürlich schweifte ihr Blick zu Martha und ihrem Benni. Die zwei, also vornehmlich Martha, aber die ging ja nirgends mehr ohne ihren Mann hin, waren natürlich die Ersten, die sie nun zu ihrer Geburtsparty eingeladen hatte, die sie auch natürlich nicht in ihrer Wohnung veranstaltete, sondern in einem Restaurant.
»Happy birthday«, flötete Martha und zog sie in eine Umarmung, Benni beließ es bei drei steifen Küssen auf die Wangen und Kati war froh drum. Im Hintergrund tauchten die übrigen Gäste auf, zwei alte Freundinnen aus der Ausbildung mit Partnerin und Partner, ein paar nette Mädels, die sie bei einem Malkurs kennengelernt hatte, ihr Bruder, der pinke Luftschlangen um sie pustete, als wäre bereits Silvester. Sie kicherte übermütig. Ein ziemlich junger Kellner brachte eine Flasche Prosecco, sie zwinkerte ihm zum Dank zu, er wurde rot, was sie unglaublich niedlich fand.
»Auf Kati!«, rief die Gruppe unisono, Gläser klirrten.
»Dass sie in diesem neuen Lebensjahr endlich den Mann fürs Leben finden möge!« Das war natürlich ihr Bruder.
»Bloß nicht«, gab sie zurück und alle lachten. »Auf die Ungebundenheit!«
»Auf die Freundschaft!« Das war natürlich Martha, und sie kippte fast ihr gesamtes Glas auf einmal runter. Das konnte ihre Freundin gut. Nur nicht mehr als dreimal, danach war sie sternhagelvoll und schlief ein, egal wo sie gerade war.
Der süße Kellner stellte ein Amuse-Bouche vor sie und unterbrach damit ihre Gedanken. Er trug zumindest keinen Ring am Finger.
Gegrillte Rotkohlscheiben mit Feldsalat und Speckwürfel, hausgemachte Ravioli mit Maronenfüllung und Salbeibutter, ein Orangen-Zimt-Parfait, und nun stand der Schokoladenkuchen vor ihr und Kati pustete unter Beifall, Gelächter und noch mehr pinken Luftschlangen die Kerzen aus. Fünfunddreißig, puh. Irgendwie ganz schön alt und trotzdem noch ziemlich jung; jung genug für den Kellner? Sie warf ihm einen eindeutigen Blick zu, als er ihr den Teller reichte, aber er schüttelte unmerklich den Kopf. Dann eben nicht. Es war trotzdem ein schöner Abend, fand Kati, und ein Funken Wehmut blitzte in ihr auf. Zeit mit Freunden zu verbringen tat gut, es bereitete ihr ja wirklich Spaß, und doch sehnte sie sich schon wieder nach der Stille ihrer Wohnung. Manchmal wurde sie aus sich selbst nicht schlau – fröhlich und aufgeschlossen auf der einen Seite, zurückgezogen wie eine Einsiedlerin auf der anderen. Sie atmete die gute Laune, die am Tisch herrschte, ein, tief, ganz tief, und schloss kurz die Augen. Die Helligkeit der Umgebung hinterließ glitzernde Flecken in der Dunkelheit hinter ihren Lidern.
»He, nicht einschlafen!« Martha stieß sie in die Seite. »Erinnerst du dich an meine eigene Geburtstagsparty, als ich einfach eingepennt bin?« Sie lachte, während Kati blitzartig die Augen öffnete und Bennis Blick suchte. »Keine Angst«, beruhigte Martha sie. »Benni passt schon auf mich auf, nicht wahr?«
Ihr Mann räusperte sich, nickte und schob sich eine Gabel Kuchen in den Mund.
»Ich muss dir noch mein Geschenk geben«, sagte Martha und zog die Augenbrauen nach oben, verheißungsvoll und komisch zugleich, sie konnte einfach jeden Trauerkloß zum Lachen bringen, ihre Martha, und Kati freute sich auf das Geschenk, denn ihre Freundin hatte immer gute Ideen, mit denen sie sie überraschte.
Als sie dann den Gutschein für ein Wochenende in einem Chalet in den Schweizer Bergen herauszog, musste sie schlucken.
»Wir sind dieses Jahr doch schon gemeinsam verreist?« Sie machten jedes Jahr einmal zu zweit Urlaub, eine Woche irgendwo, wo es schön war, wo es Wellness gab, wo es gute Cocktails gab. Ganz kurz glaubte sie, Enttäuschung in Marthas Blick zu erkennen, dann strahlte sie wieder.
»Na und? Das wurde uns im Reisebüro als Geheimtipp zugespielt, und ich weiß doch, wie sehr du die Berge und den Schnee und die Ruhe liebst! Wir sind beste Freundinnen seit ewig, seit e-w-i-g, Kati, ich kenn dich und du kennst mich, und ich will, dass du glücklich bist!« Ihre Sprache war verschwommen und ihre Gesten minimal größer als notwendig. Das waren definitiv schon drei Gläser Alkohol gewesen. In zehn Minuten würde sie schnarchend unter dem Tisch liegen.
»Das klingt wunderbar, Martha, aber ich hab gar keinen Urlaub eingeplant, ich muss doch … Damit habe ich nicht gerechnet.« Allein drei Tage mit ihrer besten Freundin verbringen – was noch vor nicht allzu langer Zeit das Synonym für Traumurlaub gewesen war, fühlte sich jetzt hölzern an.
Martha zog einen Flunsch und griff zum Glas. Benni nahm es ihr aus der Hand. »Freust du dich gar nicht? Du kannst deinen Laptop doch mitnehmen. Ach komm schon. Ist doch schon bezahlt. Und Benni mag keinen Schnee.«
Benni war es sicher recht, ein langes Wochenende für sich zu haben, dachte Kati und hoffte, dass ihr Gesichtsausdruck nicht verriet, was sie von Marthas Mann hielt.