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17.12.2024

Wenn aus Winter Wärme wird - Teil 17

Wenn aus Winter Wärme wird – ein Winterroman mit viel Liebe, Spannung und Drama.
Mit ihrem Winterroman ,,Wenn aus Winter Wärme wird " nimmt die Autorin Astrid Töpfner die Leser mit auf eine spannende Reise in die schneebedeckten Schweizer Berge. Tauchen Sie ein in die Winterstimmung mit viel Gefühl und Drama – mit dem Kreuzlingen24-Adventskalender.

16. Dezember

Florian

»Wir machen es uns alle auf dem Boden gemütlich wie früher bei den Übernachtungspartys und spielen Flaschendrehen.«

Tania gluckste. »Du spinnst doch.«

»Gar nicht«, gab er zurück. »Ganz normale Fragen halt.«

Martha verzog skeptisch das Gesicht. »Weiß nicht. Klingt langweilig.«

»Wir müssen die Flasche ja erst austrinken«, sagte Emma und lächelte unschuldig, obwohl sie mit Sicherheit auf Marthas nicht existente Trinkfestigkeit anspielte. Wäre es heller im Raum, würde man wahrscheinlich erkennen, wie diese rot anlief.

»Es ist zu dunkel, um zu lesen oder Kreuzworträtsel zu lösen. Es ist erst fünf, sollen wir schon schlafen?« Erst fünf, dass er nicht lachte! Die Zeit verging so langsam, als würden die in jeder Stunde enthaltenen Minuten den Weg durch den Schneesturm nicht finden. Trotz des Feuers kroch die Kälte aus dem restlichen Bereich des Chalets immer näher und mit ihr die Dunkelheit; beides behagte Florian nicht sonderlich. Hoffentlich hatte Chasper genug Holz gelagert!

Er blickte von Emma zu Tania und ganz schnell weiter zu Kati, fragend, dann zu Rebekka, die mit den Schultern zuckte, ließ Martha aus und nickte Chasper zu.

»Egal«, sagte der. »Hauptsache, eine Beschäftigung. Hilf du mir kurz in der Küche, um etwas zu essen vorzubereiten, und dann setzen wir uns alle in den Kreis und vertrauen der Flasche unsere wildesten Geheimnisse an.«

Florian bemerkte Katis entsetzten Blick.

»Wie alt wir sind, zum Beispiel«, fuhr Chasper fort.

Ihre Bäuche waren mehr oder weniger gefüllt, das Feuer mit Holzscheiten und Hobelspänen versorgt, eine ausgespülte Weinflasche lag in der Mitte ihres Kreises. Alle hatten sich in ihre Bettdecke gehüllt; sie sahen aus wie die Tafelrunde der Leintuchgespenster, dachte Florian und stopfte sich einen Zimtstern in den Mund. Davon gab es zum Glück genug.

»Wer beginnt?«, fragte Tania. Sie saß ihm gegenüber. Das warme Licht der Flammen färbte ihre Blässe rosig und retuschierte die Schatten unter den Augen, und er erwischte sich dabei, wie er sich vorstellte, seine Hand unter ihre Bettdecke zu schieben und nach ihrer Hand zu tasten. Es fiel ihm schwer, zu schlucken, und er rutschte ein wenig näher zu Emma. Die Worte seiner Mutter dröhnten ihm plötzlich durch den Kopf. Verscherz es dir bloß nicht mit Emma.

»Große Begeisterung«, sagte Tania lapidar. »Dann fang ich halt an.« Sie drehte die Flasche, der Hals zeigte auf Chasper. »Na wunderbar, dann möchte ich dieses wilde Geheimnis lüften: Wie alt bist du?«

»Jetzt kommt es also ans Tageslicht«, blödelte Chasper, sichtlich bemüht, die Stimmung aufzulockern. »Ich bin dreiunddreißig. Jetzt wisst ihr’s.«

»Knackig für dein Alter«, witzelte Emma und Florian drehte sich gespielt empört zu ihr um, aber sie gab ihm einen Kuss. »Du musst jetzt die Flasche drehen«, wies sie Chasper an.

Der nickte und drehte. »Martha. Was arbeitest du?«

Martha schnaubte. »Ich arbeite im Reisebüro, und dein Hotel werde ich bestimmt nicht weiterempfehlen. Emma, Lieblingsfarbe?«

»War mal weiß, aber davon habe ich jetzt genug gesehen.«

Alle lachten, nur Kati meinte: »Ich finde es wunderschön.« Chasper strahlte, als hätte sie ihm ein persönliches Kompliment gemacht.

Emma drehte die Flasche. »Rebekka. Welches ist dein liebstes Weihnachtslied?«

Florian sah, wie Rebekkas Blick auf Tania ruhte, die erst explizit den Kopf zur Seite drehte, um dem Kontakt zu entkommen, aber nach ein paar Sekunden den Widerstand aufgab und ihre Mutter ansah. Bislang hatte er nicht den Eindruck gehabt, dass ihr gestriges Gespräch für Entspannung gesorgt hätte, aber nun erkannte er auf Tanias Gesicht einen versöhnlichen Ausdruck. Mit Weihnachten schienen beide schöne gemeinsame Erinnerungen zu verbinden.

»Leise rieselt der Schnee«, sagte sie schließlich leise und Tania nickte versonnen. Emma begann, die Melodie zu summen, während Rebekka sich eine weitere Frage für Chasper ausdachte.

»Wie lange betreibst du das Hotel schon?«

»Wir haben es vor vier Jahren gekauft«, antwortete er, und dann verschloss sich sein Gesicht urplötzlich, als hätte er etwas Falsches gesagt. Rasch drehte er die Flasche. »Florian.«

Und so ging die Runde weiter, eine lebensverändernde Frage nach der anderen, Lieblingsessen, Lieblingsfilm, Lieblingsschauspieler und Lieblingsjahreszeit. Martha gähnte, Rebekka schien keine bequeme Position zu finden, Emma musste die Flasche dreimal drehen, weil sie jedes Mal auf sich selbst zeigte.

»Kati«, sagte sie, als sie endlich geschafft hatte, ein anderes Opfer zu finden. Die spielte mit ihrer Haartolle, und Florian war fast sicher, dass sie dabei Martha beobachtete, die selbstvergessen ihren Ehering drehte. »Kati?«

Jetzt schreckte sie hoch. »Was?«

»Hast du schon einmal …« Emma tippte sich mit dem Finger gegen die Unterlippe, während sie sich wohl etwas ganz Außergewöhnliches einfallen lassen wollte. »… eine Frau geküsst?«

Tania applaudierte. Die Fragen hatten ein neues Level erreicht.

Kati lehnte sich nach vorn und sah Emma verschwörerisch an. »Natürlich. Du etwa nicht?«

Florian konnte nicht erkennen, ob sie das ernst meinte oder spaßte, aber Emma neben ihm kicherte leise. »Hast du etwa?«, fragte er ungläubig und fühlte sich peinlicherweise wie ein Fünfzehnjähriger, der nach einem feuchten Traum aufwachte.

»Psssst«, sagte sie nur und zwinkerte ihm zu. »Kati dreht.«

Er würde später auf das Thema zurückkommen.

Der Flaschenhals zeigte auf Chasper. Kati kniff die Augen leicht zusammen, räusperte sich. Setzte zum Sprechen an und schloss den Mund wieder, öffnete ihn wieder. »Erklärst du uns, was mit deiner Frau passiert ist?«

Chaspers erwartungsvolles Lächeln erlosch.

Die Atmosphäre im Raum rutschte von einer Sekunde auf die nächste wie auf glattem Eis von heiter zu angespannt.

»Tut mir leid«, flüsterte Kati.

»Ich fasse es nicht«, sagte Martha. »Was geht dich das an?«

»Ich wollte nicht …«

Chasper setzte sich gerade hin und schälte sich aus der Bettdecke, als wäre ihm zu warm. »Ist schon gut«, sagte er und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Ich habe meine Frau beim Kreuzworträtseln erwähnt, die Frage ist berechtigt. Sie hieß Onna, das ist Rätoromanisch für Anna.«

Alle drehten unisono den Kopf in Richtung Fenster, über dem an der Außenwand das Schild mit dem Hotelnamen hing. Das sie natürlich von hier aus nicht sehen konnten.

»Sie ist gestorben. Letztes Jahr. Kurz vor Weihnachten. Sie ist … Sie wollte die Rehe füttern gehen, wir haben die Aufgabe vom Förster übernommen, er bringt uns einmal die Woche das Heu hoch, wir lagern es hinten im … Egal. Sie hat die Rehe geliebt.« Gedankenverloren starrte er in die Flammen des Feuers. Niemand unterbrach ihn dabei. Dann straffte er die Schultern und atmete tief ein und wieder aus. »Es war eisig kalt und sie kam einfach nicht zurück. Als ich nachgeschaut habe, war es bereits zu spät. Ein Hirnaneurysma ist geplatzt. Vielleicht, wenn ich früher reagiert hätte. Früher nach ihr gesehen hätte. Sie hat, bevor sie rausging, noch über heftige Kopfschmerzen geklagt, aber wie hätte ich auch wissen können …« Er seufzte gequält.

»Das tut mir sehr leid«, sagte Kati leise.

Rebekka hatte Tränen in den Augen.

»Das Reh. Du hast das Reh gegrüßt in der Nacht«, murmelte Tania und Chasper nickte.

»Ja. Sie sind meine Verbindung zu ihr.«

»Wie lange dauert es, bis man über den schlimmsten Schmerz hinweg ist?« Was für eine seltsame Frage von Rebekka, dachte Florian, aber Chasper nickte wieder, auch wenn Florian merkte, dass es ihm nicht gefiel, so im Scheinwerferlicht, respektive im Kerzenlicht zu sitzen.

»Ich vermisse sie immer noch, wenn du das meinst. Wir hatten eine ganze Zukunft vor uns. Aber das Leben geht weiter, und ich weiß, dass ich loslassen muss. Der Moment hat sich mir nur noch nicht offenbart.« Er lächelte verlegen. »Aber ich wollte die Stimmung nicht runterziehen. Lasst uns weitermachen, die Nacht ist noch jung!«

Niemand schien sonderlich motiviert. Ein Blick zum Fenster bestätigte Florian, dass es immer noch schneite, ein Blick auf die Uhr, dass es erst sechs war. Vielleicht sollte er versuchen, zu schlafen, damit die Langeweile schneller vorüberging. Martha knackte Erdnüsse. Emma griff nach der Flasche.

»Ernsthaft?«, fragte er sie. Aber sie ließ sie nicht schwungvoll rotieren, sondern drehte sie ganz bewusst so, dass der Hals auf ihn zeigte. Sein Puls stolperte über die Vorahnung.

»Flo. Liebst du mich noch?«

Er krallte die Finger in die Decke, als könnte er sich so davon abhalten, aber dennoch schoss sein Blick zu Tania, bevor er sich zu Emma umdrehte. »Na… natürlich. Wir wollen doch zusammenziehen?«

»Wollen wir das wirklich?«

Ihr passt so gut zusammen, flüsterte seine Mutter ihm ins Ohr, Emma ist ein Schätzchen. »Ja, wir wollen das«, sagte er mit fester Stimme, legte seinen Arm um sie, bis sie ihren Kopf an seine Schulter legte und er ihr einen Kuss auf den Scheitel drücken konnte.

»Ein Hoch auf die Liebe«, jubelte Martha spöttisch, nahm dann die Flasche und richtete sie auf Kati. Die schien regelrecht in ihre Decke hinein zu schrumpfen. »Dann lass uns zwei doch mal Klartext reden. Warum gehst du mir seit dem Sommer aus dem Weg, hm? Keine Zeit, keine Zeit, kann nicht, Arbeit, Deadlines, früher konnte uns das nie davon abhalten, uns zu treffen. Ich bin doch nicht blöd, irgendwas stimmt nicht. Rück raus mit der Sprache!«

Kati schüttelte den Kopf. »Martha, das muss doch nicht jetzt sein.«

»Jetzt scheint mir der perfekte Moment. Wir haben nichts anderes zu tun.«

Sie spürte Chaspers aufmunternden Blick auf ihr; wird schon nicht so schlimm sein, schien er zu sagen. Aber ach, wenn er wüsste. Ihr war schlecht, die Worte rumorten sauer in ihrem Magen und sie presste die Lippen zusammen. Aber ihr Körper schien die Wahrheit nicht mehr bei sich behalten zu wollen.

»Ich habe mit deinem Mann geschlafen.«

Wenn aus Winter Wärme wird

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Astrid Töpfner

Astrid Töpfner wurde 1978 in der Schweiz geboren und wohnt sie seit 2005 mit ihrem Mann und den zwei Söhnen in Spanien. In ihren Geschichten spielen oft Familien und deren tief verwurzelte Konflikte eine grosse Rolle; wie unterschiedlich Personen mit Themen wie Liebe, Verlust, Eifersucht oder Schuldgefühlen umgehen. Es sind keine klassischen Liebesromane, aber dennoch spielt die Liebe immer mit - denn ganz ehrlich: Was wären wir schon ohne?

www.astrid-topfner.com / www.instagram.com/astrid_topfner

Astrid Töpfner