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18.12.2024

Wenn aus Winter Wärme wird - Teil 18

Wenn aus Winter Wärme wird – ein Winterroman mit viel Liebe, Spannung und Drama.
Mit ihrem Winterroman ,,Wenn aus Winter Wärme wird " nimmt die Autorin Astrid Töpfner die Leser mit auf eine spannende Reise in die schneebedeckten Schweizer Berge. Tauchen Sie ein in die Winterstimmung mit viel Gefühl und Drama – mit dem Kreuzlingen24-Adventskalender.

16. Dezember

Kati

Sechs Wörter. Ausgesprochen fühlten sie sich noch schmutziger an. Sie wollte in den Schnee eintauchen, um sich reinzuwaschen, und am besten gar nicht wieder auftauchen, um die Missbilligung in den Gesichtern der anderen nicht sehen zu müssen. Sie blendete alles um sich herum aus, konzentrierte sich auf das Entsetzen und die Enttäuschung Marthas.

»Es tut mir …«

»Du hast was?« Marthas Stimme klang piepsig, sie umklammerte ihre Knie; was blieb ihr auch anderes übrig, als an sich selbst Halt zu suchen, hatte Kati ihr doch den Boden unter den Füßen weggezogen.

»Ich habe …«

»Aber du magst Benni nicht einmal besonders?« Sie begann, vor und zurück zu schaukeln, erst langsam, dann immer hektischer. Tania legte ihr die Hand auf den Rücken, um sie daran zu hindern, um sie zu beruhigen, aber Martha schüttelte sie ab.

»Wann?«, fragte sie.

»Ist das wirklich wi…«

»Wann?!«, schrie Martha. Kati zuckte zusammen, Rebekka zuckte zusammen und Tania rutschte ein Stück von ihrer Sitznachbarin weg.

Der Riss war da, spielte es eine Rolle, ob er größer wurde? »An deiner Geburtstagsparty. Du warst völlig weggetreten. Er hatte ein Glas zu viel, ich auch, wir haben uns unterhalten, gelacht, und irgendwann … Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte. Es war keine Absicht, Martha.«

»Keine Absicht? Dreißig Jahre Freundschaft, beste Freundinnen, wie kannst du nur? Du bist neben Benni der wichtigste Mensch für mich, aber so bist du eben, wenn ein Mann auftaucht, vergisst du alles andere, du Schlampe!«, kreischte sie. »Sich jedem an den Hals werfen, aber keine Beziehung eingehen wollen, immer nur auf Spaß aus, ohne Rücksicht auf Verluste, schau dich doch an, statt mit mir Zeit zu verbringen, flirtest du mit Chasper, pass bloß auf, Junge, nimm dich vor ihr in Acht!«

»Das ist …« Sie rang nach Worten und fand sie nicht. So dachte Martha also von ihr? Und wo sie nun einmal im Begriff war, mehr für einen Mann zu empfinden als eben diesen puren Spaß, machte sie es ihr kaputt? Sie schielte zu Chasper. Der starrte teilnahmslos auf seine Hände. Das Haus ächzte. Der Wind heulte. Die Wut in Kati fraß sich langsam durch das Mitleid und das schlechte Gewissen. Sie könnte die alleinige Schuld auf sich nehmen oder sie könnte Martha die ganze Wahrheit sagen.

»Vielleicht solltest du dich fragen, wie es sein kann, dass dein Mann zugelassen hat, dass ich mich an seinen Hals geworfen habe, wie du so schön gesagt hast«, sagte sie so ruhig wie möglich. »Da gehören nämlich zwei dazu, und er war alles andere als abgeneigt, das kann ich dir sagen.«

»Muss das sein?«, warf Rebekka leise ein.

»Ja, es muss, damit sie aufwacht! Du bist ein Klammeraffe, Martha, das warst du schon immer. Wer einmal in deine Fänge gerät, kommt nur mit Gewalt wieder los. Mir hat das nie etwas ausgemacht, ich brauche nicht viele Freunde. Aber Benni, den hast du damit erstickt. Der hat sich seinen Freiraum gesucht und ihn darin gefunden, mit anderen Frauen zu schlafen.«

»Das … ist … nicht … wahr«, wisperte Martha, und selbst im spärlichen Licht des Feuers und der Kerzen konnte Kati erkennen, wie sie erblasste. Es schmerzte sie, ihre Freundin so zu sehen, denn das war sie doch immer noch, ihre Freundin, die sie verletzt hatte.

»Er liebt mich«, presste Martha hinterher, stand umständlich auf und wankte in ihre Bettdecke gehüllt aus dem Kreis, weg vom Feuer, hinter den Esstisch, wo sie sich neben dem Weihnachtsbaum auf den Boden kauerte und weinte. Kati wollte zu ihr gehen, aber Tania hielt sie zurück und schüttelte den Kopf. Sie las Mitleid in ihrem Blick, und etwas, das ihr sagte, das auch Tania einmal am einen oder anderen Ende einer ähnlichen Situation gestanden hatte.

»Hättest du mal nicht mit diesem dämlichen Spiel angefangen«, warf Emma rechts neben Kati Florian vor und griff nach der Flasche, aber bevor sie sie wegstellen konnte, nahm Tania sie ihr aus der Hand.

»Ich habe noch eine letzte Frage. Mama.« Sie legte die Flasche so hin, dass der Hals zu Rebekka zeigte. Die nickte, als hätte sie nur darauf gewartet. »Warum hast du mich wirklich hierher eingeladen? Gestern im Zimmer, da wolltest du mir noch etwas sagen. Was?«

Chasper stand ganz vorsichtig auf, als wollte er unsichtbar bleiben und Rebekka von ihrer Antwort nicht abhalten, ging zum Kamin und legte Holzscheite nach. Es wurde sofort heller, als die Flammen gierig daran leckten.

Rebekka räusperte sich, dann sagte sie: »Ich wollte Frieden schließen mit dir. Wir haben ein Jahr verloren, in dem du wütend auf mich warst und ich dir den Raum geben wollte, auf mich wütend zu sein und vielleicht selbst zu verstehen, dass ich nie die Absicht hatte, dir etwas wegzunehmen, sondern dir helfen wollte. Weil ich dachte, als Mutter nicht blind vor Liebe zu sein wie du, die du nicht sehen konntest, dass Simon nur mit dir spielte. Aber ich habe erkannt, dass ich falsch gehandelt habe. Denn vor lauter Liebe zu dir war ich genauso blind und wollte dich um jeden Preis vor dem Schmerz schützen, der früher oder später gekommen wäre. Ich hätte nicht eingreifen dürfen. Es tut mir leid.«

Kati verstand kein Wort, aber Tania nickte. »Danke. Es war wahrscheinlich trotzdem richtig, was du getan hast, irgendwie. Aber das hast du mir gestern schon gesagt. Was also ist da noch?«

»Es ist schwierig …« Rebekkas Stimme zitterte.

Alarmiert setzte Tania sich aufrecht hin. »Was, Mama?«

»Weihnachten. Wir haben immer gemeinsam gefeiert, du und ich. Haben Leise rieselt der Schnee in Dauerschleife gehört, echte Kerzen am Baum angezündet und dabei immer einen Eimer voller Wasser hinter der Tür stehen gehabt. Aber Lichterketten, die kommen nicht an diese besinnliche Stimmung heran, nicht wahr? Zwei kleine Geschenke, das war unsere Abmachung; es ging uns um die Zeit, die wir zusammen verbrachten. Die gemeinsame Zeit … Unsere Zeit, war sie nicht schön, Tania?« Gedankenverloren nickte sie, während Kati auf Tanias Gesicht einen Ausdruck bemerkte, eine Ahnung, die ihr die Härchen auf den Armen aufstellte. »Letztes Jahr war furchtbar ohne dich. Ich habe mich nicht getraut, dich anzurufen, dich zu fragen, ob du kommst, aus Angst vor deinem Nein, und ich habe geweint. Aber dieses Jahr möchte ich wieder Buchstabensuppe essen und kleine Gedichte aus den Nudeln formen. Ich möchte den Baum mit den kleinen Engeln schmücken, die du als Kind aus Papier ausgeschnitten hast. Ich möchte mit dir auf der Couch sitzen, den Kerzen beim Tropfen zusehen, mich mit Lebkuchen vollstopfen und in Erinnerungen schwelgen. Lachen, ja, lachen …«

»Mama«, flüsterte Tania.

»Dieses Weihnachtsfest, Liebes … Es wird mein letztes sein. Ich habe Bauchspeicheldrüsenkrebs, Tania. Nicht operabel, streuend. Mir bleiben noch ein paar Monate. Ein halbes Jahr. Mehr wahrscheinlich nicht.«

»Nein.« 

Das Wort wurde sofort von der Stille im Raum geschluckt, selbst das Feuer schien die Luft anzuhalten, die Flammen der Kerzen standen, ohne zu flackern. Kati wollte, sie könnte Tania neben ihr umarmen, festhalten, aber sie fühlte sich außerstande, sich zu bewegen.

Irgendwo hinter ihr schluchzte Martha noch lauter und zerbrach den Moment. Tania strampelte sich aus der Bettdecke, richtete sich auf, verhedderte sich und stolperte, und dann verließ sie wie in Trance das Zimmer.

»O Gott, Rebekka«, sagte Emma, und Chasper sagte fast gleichzeitig: »Das tut mir so leid.«

Kati presste sich die Faust an den Mund, biss darauf, aber der Schmerz konnte die Tränen nicht davon abhalten, zu fließen. »Soll ich nach ihr sehen?«, presste sie hervor.

Rebekka schüttelte den Kopf und lächelte mit Tränen in den Augen. »Sie wird etwas Zeit brauchen.«

»Können wir dir irgendwie helfen?«, fragte Chasper.

»Nein«, sagte sie. »Alles, was ich brauche, ist die Liebe meiner Tochter. Sie wird gleich wiederkommen.«

Sie warteten schweigend. Nicht nur Kati war anscheinend mittlerweile jegliche Lust an Spielen, harmlosen und pikanten Fragen vergangen. Emma kuschelte sich an Florian, der ihr zwar gleichmäßig, aber mechanisch durch die langen Haare fuhr und dabei die Tür im Auge behielt. Chasper war vom Boden in einen Sessel gewechselt und tappte lautlos mit dem Zeigefinger auf die Lehne. Martha saß immer noch abseits; Kati war dann doch aufgestanden und zu ihr hingegangen, sie mussten reden, über vieles, aber Martha hatte den Kopf geschüttelt. Zu früh, zu frisch die Wunde; auch wenn es Kati schmerzte, sie sich rechtfertigen wollte, entschuldigen, wusste sie doch, dass sie hier nichts zu bestimmen hatte. Es war geschehen und ihre Freundschaft wäre nie wieder dieselbe. Was sie erst gestern gespürt hatte, hatte sich bewahrheitet: Der Weg war zu eng geworden, um ihn weiterhin gemeinsam zu gehen. Unwillkürlich brannten ihre Augen, und bevor sie reagieren konnte, nabelte sich eine Träne ab und lief ihr über die Wange. Sie sah zu Rebekka, die neben dem Kamin reglos in ihre Decke gewickelt auf dem Boden kauerte wie ein Häufchen Schnee, das darauf wartete, von der Wärme aufgelöst zu werden und zu verdunsten. Zu verschwinden. Was blieb, wenn man ging? Sie wirkte so gefasst, als hätte sie mit ihrem Schicksal schon lange Frieden geschlossen. Das Einzige, was sie nun noch brauchte, war, Frieden mit Tania zu finden, um ihre gemeinsame Zeit abzuschließen. Das Leben war ein Kreis aus vielen Kreisen, dachte Kati; jede Begegnung öffnete einen neuen, und bevor nicht alles gesagt und getan wurde, würde er sich nicht schließen. Und es waren diese offenen Kreise, die einen nachts nicht schlafen ließen, die einen nach Antworten suchen ließen und nach Vergebung, einer letzten Umarmung, einem letzten Gespräch. Einem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest. Auch Chasper hatte noch einen unvollendeten Kreis, dachte sie und beobachtete ihn verstohlen. Müde sah er aus, die Augen halb geschlossen, aber den Blick dennoch zum Fenster gerichtet, als würde er Schneeflocken zählen. Oder auf seine Frau warten, die nur kurz die Rehe füttern gehen wollte. Es zog an ihrem Herzen, viel zu süß dafür, dass sie soeben erfahren hatte, dass diese Frau nie wieder in die Wärme dieses Zimmers getreten war. Die Liebe hielt sich nicht an geeignete Zeitpunkte; sie kam, wann sie es für nötig hielt, und blieb, wenn zwei Herzen bereit waren, aufeinander zuzugehen. War seins bereit?

Der Gedanke löste eine Hitzewelle in ihr aus. Sie schälte sich aus der Decke und aus ihrer Jacke und fächelte sich verstohlen Luft zu.

»Sollen wir nicht nach Tania schauen?«, fragte Florian in die Stille hinein, was Emma dazu veranlasste, sich von ihm zu lösen, und Kati glaubte regelrecht zu spüren, wie sich die Eifersucht rot durch ihre Brust brannte. Emma wusste sehr wohl, dass er vorhin gelogen hatte bei ihrer Frage, ob er sie noch liebte. Aber sie presste die Lippen zusammen, wohl wissend, dass dies nicht der richtige Moment für eine weitere Szene war.

Rebekka fuhr mit dem Finger durch die Flamme einer der Adventskerzen. Morgen in einer Woche war Weihnachten. Dann stand sie auf, streckte sich kurz, zog die dicke Kerze aus ihrer Halterung und ging nach oben. Kati sah auf ihre Uhr. Kurz vor acht. Es war stockfinster draußen und der Schnee fiel heftig. Wie lange würde es dauern, bis die Straßen wieder frei wären, damit sie nach Hause fahren konnten? Lange, hoffte sie. 

»Sie macht nicht auf und antwortet nicht.« Rebekka stand in der Tür, nun doch sichtlich besorgt. »Hast du einen zweiten Schlüssel, Chasper?«

Er sprang auf, ging mit langen Schritten zur Rezeption, nahm einen Schlüsselbund, schaltete die Taschenlampe seines Handys ein und lief, zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben. Kati folgte ihm, blieb aber in der Tür zum Eingangsbereich stehen. Hinter ihr drängelte sich Florian. Es war um einiges kälter hier – vorn Winter, hinten Wärme. Sie hörte Chasper oben nach Tania rufen, hörte die wachsende Angst in Rebekkas Stimme, spürte Florians Anspannung in ihrem Rücken.

»Flo?«, rief Emma.

Da kam Chasper die Treppe wieder runtergepoltert. »Sie ist in keinem Zimmer.«

Florian drängte sich an Kati vorbei, aktivierte ebenfalls die Taschenlampe und öffnete die Tür neben der Rezeption, die in die Küche führte, wo er vorhin Chasper bei der Zubereitung des kalten Abendessens geholfen hatte.

»Tania?«, rief nun auch er. »Tania, verdammt, das ist nicht lustig!«

Chasper stand auf der untersten Stufe der Treppe, ging in seinem Kopf wahrscheinlich alle Möglichkeiten durch, und dann sah Kati, wie er ganz langsam den Kopf drehte, in Richtung der Hintertür, die zur Saunahütte führte. Sie würde doch nicht …? Noch bevor er sich in Bewegung setzte, rannte sie zur Tür, öffnete sie, richtete ihre Taschenlampe in den Schnee –

»Da sind Fußspuren!«

»Sie ist draußen? Bei der Kälte?«, fragte Rebekka mit Panik im Gesicht, wohingegen sie vorhin angesichts ihres eigenen Endes so gefasst gewirkt hatte. War das Mutterliebe? Wenn dir das Leben deines Kindes wichtiger war als dein eigenes? Kati wollte ihr Trost schenken, aber da schob sich Martha an Florian vorbei zu ihnen, nahm Rebekka die Kerze aus der Hand, stellte sie auf den Boden und umarmte die Frau.

»Chasper?«, fragte Kati. Er stand immer noch wie versteinert auf der Treppe, das Telefon mit der Taschenlampe in der Hand beleuchtete hilflos die Wand. Der eisige Wind blies Schneeflocken in den Gang wie farbloses Konfetti einer längst vergangenen Feier. Ohne Jacke zitterte Kati bereits nach wenigen Sekunden.

»Chasper?«, fragte sie noch einmal, dringender.

Er schreckte hoch. »Ich … ich muss sie suchen«, stammelte er. »Bevor … Es ist … kalt. Viel zu kalt. Dieses Mal darf ich nicht zu spät kommen.«

Es war der Kreis, dachte Kati und wurde wieder von einer Gänsehaut überrollt. Der Kreis, den er schließen musste. Sie zögerte, aber dann sagte sie bestimmt: »Ich komme mit. Ich muss nur, meine Jacke …«

Endlich kam Bewegung in Chasper und er hechtete zur Garderobe, riss die rote Jacke vom Haken und warf sie ihr zu.

»Das ist Onnas Jacke«, sagte Kati.

Er packte sie an beiden Oberarmen, Verzweiflung im Gesicht. »Was Martha gesagt hat, ist es wahr? Ist das nur ein Flirt, ein Spiel?«

Sie schüttelte den Kopf, sagte: »Nein«, und noch einmal: »Nein, Chasper. Kein Spiel.«

»Dann braucht Onna die Jacke nicht mehr.«

Wenn aus Winter Wärme wird

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Astrid Töpfner

Astrid Töpfner wurde 1978 in der Schweiz geboren und wohnt sie seit 2005 mit ihrem Mann und den zwei Söhnen in Spanien. In ihren Geschichten spielen oft Familien und deren tief verwurzelte Konflikte eine grosse Rolle; wie unterschiedlich Personen mit Themen wie Liebe, Verlust, Eifersucht oder Schuldgefühlen umgehen. Es sind keine klassischen Liebesromane, aber dennoch spielt die Liebe immer mit - denn ganz ehrlich: Was wären wir schon ohne?

www.astrid-topfner.com / www.instagram.com/astrid_topfner

Astrid Töpfner