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23.12.2024

Wenn aus Winter Wärme wird - Teil 23

Wenn aus Winter Wärme wird – ein Winterroman mit viel Liebe, Spannung und Drama.
Mit ihrem Winterroman ,,Wenn aus Winter Wärme wird " nimmt die Autorin Astrid Töpfner die Leser mit auf eine spannende Reise in die schneebedeckten Schweizer Berge. Tauchen Sie ein in die Winterstimmung mit viel Gefühl und Drama – mit dem Kreuzlingen24-Adventskalender.

16./17. Dezember

Kati

Sie hatten funktioniert wie ein eingespieltes Team: Ohne weiter auf seinen Fuß zu achten oder sich selbst erst aufzuwärmen, hatte Chasper Florian in die Küche gezogen, um eine wärmende scharfe Kürbissuppe und einen großen Topf Nudeln zuzubereiten, schlicht und schnell, keine Zeit für Finesse, alle waren hungrig. Martha beauftragte er damit, die Heizungen in allen Zimmern aufs Maximum hochzudrehen, Kati räumte das Kaminzimmer auf, Emma deckte den Tisch. Rebekka half Tania in die warme Badewanne, und den Wortfetzen, die Kati aufschnappte, als sie die Bettdecke in Tanias Zimmer brachte, entnahm sie, dass die beiden dabei waren, dort anzuknüpfen, wo vor einem Jahr der Faden ihrer Beziehung gerissen war. Sie hatte sich so schnell und lautlos wie möglich wieder verkrümelt.

Aber nach dem Essen begann dieser Zusammenhalt zu schmelzen wie eine Eisskulptur in der Sonne, bis die Konturen nicht mehr erkennbar waren; die Aufregung war vorbei, und Kati bemerkte, wie Emma immer stiller wurde, obwohl Florian sich wirklich bemühte, keinen allzu großen Hehl aus seinen offensichtlichen Gefühlen für Tania zu machen, die sowieso damit beschäftigt war, ihre Augen irgendwie offen zu halten. Rebekka spielte mit einem Tannenzweig, der zur Dekoration auf dem Tisch lag, und hatte schon mehrfach auf ihre Armbanduhr geschielt, Martha trank ihr drittes Glas Wein. Kati übernahm die Gastgeberrolle von Chasper und räumte den Tisch ab, und als sie Marthas Teller einsammelte, legte sie ihr sanft ihre freie Hand auf den Arm, als diese erneut nach dem Weinglas griff.

»Was soll das?«, fragte Martha.

Kati nahm ihre Hand weg. »Denkst du nicht, du hattest genug? Du weißt doch, du verträgst …«

»Wen stört’s? Oder hast du Angst, dass ich mich danach ins falsche Bett lege?« Sie drehte sich zu Chasper. »Wäre es möglich, dass ich diese Nacht ein anderes Zimmer bekommen könnte? Ich glaube nicht, dass heute noch Gäste auftauchen.«

»Ich hätte auch gern ein anderes Zimmer«, warf Emma leise ein. Florian senkte betreten den Kopf. »Ist schon gut, Flo«, beruhigte sie ihn. »Es fühlt sich einfach … nicht richtig an.« Kati fragte sich, was genau zwischen den beiden vorgefallen war, während sie in der Kälte herumgeirrt war, aber scheinbar war auch hier ein Schlussstrich gezogen worden. Nur, dass die beiden jungen Leute erwachsener damit umgingen als Martha und sie.

Das Bett fühlte sich zu groß an, zu leer, das verwaiste Kopfkissen Symbol für die Lücke, die das Ende ihrer Freundschaft zu Martha hinterließ. War es ein Ende? Wiederholt wollte sie aufstehen und an die andere Zimmertür klopfen, aber während in ihrem Kopf ein Gedankenrennen stattfand, war ihr Körper hundemüde und bleischwer. Sie schaffte es nicht, ihn dazu zu bewegen, die Füße aus dem Bett zu schwingen. Still lag sie da, atmete den beruhigenden Duft des Holzes ein, der allgegenwärtig war in diesem Haus, dachte an ihre Eltern, die wie immer den Winter in Thailand aussaßen, dachte daran, wie schön es eigentlich wäre, Weihnachten wieder einmal als Familie zu feiern, dachte an den Wichtel in ihrem Adventsgesteck, der früher den Tannenkranz in ihrem Elternhaus geschmückt hatte. Dachte an die Male, in denen Martha und sie damit gespielt hatten, während sie Plätzchendosen leer mampften und Weihnachtsmärchen auf Kassetten lauschten. Martha, die immer dabei gewesen war, immer und überall, beste Freundinnen seit e-w-i-g. Lag sie vielleicht falsch mit der Annahme, dass der Weg zu eng geworden war für sie beide? War er breiter geworden, sodass sie mehr Abstand einhalten konnten, aber ohne sich dennoch aus den Augen zu verlieren?

Auf einmal hielt sie nichts mehr im Bett. So wie sie war, mit den Kuschelsocken an den Füßen und dem Flanellpyjama, den außer Martha niemand kannte, tapste sie in den Flur und klopfte an Marthas Zimmertür. Wartete. Klopfte erneut.

»Is’ was passiert?« Schlaftrunken blinzelte Martha sie an. »Kati? Weißt du, wie spät es ist?«

»Halb eins. Darf ich reinkommen?«

Martha zögerte.

»Bitte?«

Mit nicht allzu großer Begeisterung öffnete Martha die Tür ein wenig mehr und Kati schlüpfte hinein. Auf dem Weg zum Bett kam sie an dem gepackten Koffer vorbei. Vorhin, als Martha von einem Zimmer ins andere gezogen war, hatte sie ihre Klamotten blind hineingestopft und seitdem offensichtlich auch nicht mehr rausgenommen.

»Ich fahre morgen ab, sobald Chasper mir bestätigt, dass die Straßen frei sind. Es wäre mir lieb, wenn du … Ich weiß nicht. Den Zug nehmen würdest oder so.«

Kati nickte. Martha setzte sich ins Bett, lehnte sich gegen die Wand und zog die Decke bis unters Kinn. Vorsichtig, als wartete sie darauf, einen Platzverweis zu erhalten, setzte sich Kati neben sie, stopfte sich das Kissen in den Rücken und die zweite Decke um sich.

»Ich brauche keine weitere Entschuldigung«, sagte Martha, bevor Kati überhaupt wusste, wie sie das Gespräch beginnen sollte. »Was du getan hast, ist nicht entschuldbar.«

»Nein, das ist es nicht«, antwortete sie. »Es tut mir trotzdem leid.«

Martha nickte versonnen.

»Und du hast recht mit dem, was du gesagt hast. Ich war lange Zeit nur auf Spaß aus, war vielleicht sogar egoistisch. Und ja, ich war auch etwas eifersüchtig auf Benni, der sich plötzlich zwischen uns gedrängt hat, weil, du und ich … Wir verändern uns, entwickeln andere Ziele, Gemeinsamkeiten nehmen ab, aber dennoch bist du der Mensch, mit dem ich seit dreißig Jahren täglich spreche, mehr noch als mit meinen Eltern. Du bist die Konstante in meinem Leben, Martha, und das zu verlieren, würde mich sehr traurig machen. Aber es wäre meine gerechte Strafe und ich akzeptiere jede deiner Entscheidungen.« Sie verzog das Gesicht und fuhr sich hektisch mit den gespreizten Finger durch ihre lockige Haartolle. »Das klang wirklich sehr seltsam, nicht wahr?«

»Bisschen, ja«, sagte Martha und schniefte. »Aber ich verstehe, was du meinst.« Dann lehnte sie ihren Kopf an Katis Schulter. »Ich weiß trotzdem nicht, ob ich einfach weitermachen kann, als wäre das nicht geschehen. Nicht mit dir und nicht mit Benni. Ich … ich brauch wohl von euch beiden erst einmal eine Pause, und dann sehe ich weiter.«

Kati legte ihren Arm um Marthas Schulter.

»Aber dich werde ich in nächster Zeit wahrscheinlich eh nicht häufig in Stuttgart antreffen.«

Kati nahm ihren Arm wieder weg. »Was meinst du denn damit?«

Martha richtete sich auf und sah sie mit fragend zusammengekniffenen Augen an, dann lachte sie leise. »O Kati. Muss ich wirklich aussprechen, was du doch schon längst selbst erkannt hast? Du gehörst hierher. Zu Chasper, in dieses Hotel, in diese Umgebung, diese Ruhe. Es ist wie für dich gemacht. Er ist wie für dich gemacht, das habe ich in der ersten Sekunde schon gemerkt. Sparkle, sparkle, du erinnerst dich? Wie frisch gefallener Pulverschnee, der in der Sonne glitzert.«

»Du verrückte Nudel«, murmelte Kati. Hierbleiben? Ganz abgesehen davon, dass sie das nicht allein zu entscheiden hatte – wollte sie das? Sie konnte ihr Herz nicht daran hindern, sich süß zusammenzuziehen und danach still vor Freude zu explodieren, und das war Antwort genug. 

Martha hatte sie kurz darauf gebeten, zu gehen, der Moment ihrer früheren Vertrautheit vorüber und ersetzt durch das neue hinterfragende Misstrauen. Und als Kati am nächsten Morgen nach unten ging – sie hatte, musste sie sich eingestehen, mit Absicht gebummelt, um dem voraussichtlich befremdlichen Abschied zu entgehen –, war Martha bereits abgereist.

»Mir wäre es lieber gewesen, sie hätten noch gewartet«, sagte Chasper. »Die meisten Straßen sind zwar mittlerweile befahrbar und die Schneeketten sind montiert, aber …«

»Warum Mehrzahl? Sie hätten

Chasper sah müde aus, und Kati wollte gar nicht wissen, welche Gedanken er in der Nacht gewälzt hatte. Sie wollte, sie könnte die schwarzen Schatten unter seinen Augen einfach photoshoppen, und dabei fiel ihr auf, wie wenig sie ihre Arbeit in den letzten zwei Tagen vermisst hatte.

»Martha hat Emma mitgenommen, die Zugstrecke ist noch unterbrochen und sie wollte, na ja. Du weißt.« Er schüttelte den Kopf. »Florian wird dann bei Rebekka und Tania mitfahren. Was für ein desaströses Wochenende.«

»Nichts davon war deine Schuld«, sagte Kati sanft, wollte ihre Hand auf seinen Arm legen und traute sich nicht. Er roch nach frischer Bergluft, und dieser Duft erfüllte sie mit einem fast schmerzhaften Sehnen.

Er wiegte wenig überzeugt den Kopf hin und her und humpelte dann in Richtung Küche. »Möchtest du Frühstück?«

Das Kaminzimmer badete in Sonnenlicht; die kleinen gläsernen Engel, die im Weihnachtsbaum hingen, reflektierten die Strahlen und die Nadeln verströmten einen angenehmen Geruch; es war so ein eklatanter Unterschied zu gestern, dass Kati für den Bruchteil einer Sekunde unsicher war, ob heute nicht eigentlich erst Samstag war, und alles, was gestern passiert war, zu ihrem Traum gehört hatte. Aber dann sah sie den Adventskranz mit den vier heruntergebrannten Kerzen, blickte aus dem Fenster und sah die dicke und blendende Schneedecke, die die Tische auf der Terrasse bedeckte und die hohen Tannen am Waldrand wie Wolken am Stiel aussehen ließ. Unwillkürlich scannte sie die Schatten unter den Bäumen nach dem Reh ab, während eine warme Gänsehaut über ihre Arme rollte. War es eine Botschaft gewesen?

Hinter ihr quietschte eine Bodendiele und sie drehte sich um. Chasper stand im Türrahmen, ein leicht entrücktes Lächeln im Gesicht. Das Blau seiner Augen nahm ihr die Luft.

»Dein Kaffee«, sagte er und stellte die Tasse hin, während sie sich setzte. »Magst du ein frisch aufgebackenes Gipfeli?« Er zeigte auf den Brotkorb mit den Croissants, der auf der Anrichte stand.

Kati schüttelte den Kopf. »Keinen Hunger. Setz dich. Du solltest deinen Fuß schonen.« Sie spielte mit einer der goldenen Christbaumkugeln, die auf dem Tisch lagen, und räusperte sich. Chasper nahm ihr ganz sanft die Kugel aus den Fingern, und allein bei der kurzen Berührung floss seine Ruhe in sie hinein und füllte sie, wie Wasser ein leeres Gefäß füllte, verdrängte jedes bisschen Unruhe, Sorge oder Zweifel, bis sie randvoll war mit der Gewissheit, dass das hier etwas Besonderes war. Etwas, auf das sie hingelebt hatte, ohne es zu wissen.

»Warum lächelst du?«, fragte Chasper leise.

»Kommen heute neue Gäste?«, fragte sie zurück. Er nickte verhalten. »Hast du jemanden, der dir beim Putzen zur Hand geht? Oder machst du alles selbst?« Sie merkte, wie er sich zurückzog, als wäre das nicht die Richtung, die das Gespräch seiner Meinung nach einschlagen sollte.

»Ich habe seit Onnas Tod vieles vernachlässigt. Den Notstromgenerator zu reparieren, zum Beispiel«, sagte er zerknirscht. »Die Fensterläden. Und eine Angestellte oder einen Angestellten zu suchen.« Er zuckte mit den Schultern und sah ihr direkt ins Gesicht. »Werde ich alles in Angriff nehmen.«

Die Luft zwischen ihnen flimmerte und Katis Herz raste.

»Ich kann dir helfen«, flüsterte sie. »Heute. Und morgen, wenn du magst. Und … immer.«

Chasper strich mit seinem Finger über ihre Wange, kaum spürbar, und doch war es die zärtlichste Berührung, die sie jemals erfahren hatte. Sie beugte sich leicht vor und schloss die Augen.

»Wir sind zur Abfahrt bereit.«

Kati zuckte zurück und verschluckte sich vor Schreck fast. Chasper blinzelte, Gott, wurde er etwa rot?, und musste sich ein Grinsen verkneifen, bevor er sich zu Rebekka umdrehte, die wie er vorhin im Türrahmen stand. Als wären auch sie ihre Kinder, lag eine gewisse Zufriedenheit in ihrem Blick, eine Zuversicht, als wollte sie sagen, seht her, jetzt ist alles am richtigen Platz. Wir wurden einmal durchgemischt, aber es ist alles gut, wie es ist. Denn wir wachsen an den Verlusten, die wir erleiden; sie nehmen uns etwas, aber sie machen Platz für Neues, früher oder später. Egal wie kalt es ist, wir tragen alle Wärme in unseren Herzen.

Als Kati aufstand, nahm sie Chaspers Hand, und gemeinsam verabschiedeten sie sich von ihren Freunden.

Wenn aus Winter Wärme wird

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Astrid Töpfner

Astrid Töpfner wurde 1978 in der Schweiz geboren und wohnt sie seit 2005 mit ihrem Mann und den zwei Söhnen in Spanien. In ihren Geschichten spielen oft Familien und deren tief verwurzelte Konflikte eine grosse Rolle; wie unterschiedlich Personen mit Themen wie Liebe, Verlust, Eifersucht oder Schuldgefühlen umgehen. Es sind keine klassischen Liebesromane, aber dennoch spielt die Liebe immer mit - denn ganz ehrlich: Was wären wir schon ohne?

www.astrid-topfner.com / www.instagram.com/astrid_topfner

Astrid Töpfner